***mittendrin und zwischendurch***
Sonntag, 13. April 2008
In tiefer Trauer...
Am 13. April 2008
Hier stehen die Häuser eng. So eng, dass am Geräusch des Aufklopfens zu erkennen ist, ob das Frühstücksei des Nachbarn weich oder hart gekocht ist. Stiefmütterchen stehen in militärischer Formation. Dazwischen Osterglocken, immer zu dritt, die Köpfe ordentlich in eine Richtung hängend. Die in diesen Bezirken unvermeidlichen Thuja – Hecken sind so gerade geschnitten, dass ein Laserstrahl dagegen krumm wie eine Banane wirkt.
Die Rasenkante ist so messerscharf, dass man beim Betreten fürchten muss, sich die Schuhsohle aufzuschneiden. Mit welcher Inbrunst müssen hier konzertante Aufführungen des Trios für Rasenmäher, Heckenschere und Rasentrimmer stattfinden. Hier ist Deutschland. In Reinkultur.

Es ist erstaunlich viel los in der schmalen Stichstrasse. Kombis, Kleinbusse und sehr viele Autos. Trotz des nicht gerade rosigen Wetters haben die Nachbarn in stiller Einkunft beschlossen, heute Morgen das alte Moos des Vorjahres sorgfältig mit einer alten Klinge aus den Ritzen ihrer grau gepflasterten Einfahrten zu kratzen. Man möchte ja nichts verpassen. Denn in Haus Nummer sechzehn ist Wohnungsauflösung.

Beim Morgenkaffee habe ich die Kleinanzeige gesehen. Der Veranstaltungsort ist nicht weit, also habe ich mich auf mein Rad geschwungen und bin mal hin gefahren. Es ist nicht so, dass in meinem Haushalt irgend etwas Wichtiges fehlt. Aber es gibt doch das Eine oder Andere das ich gerne hätte. Einen alten Toaster zum Beispiel. Nicht so eine seelenlose Elektronikköhlerei wie sie heutzutage als Toaster angeboten wird. Ich suche so ein altes Modell mit je einer Klappe rechts und links, hinter der man den Toast einklemmt. Schon als Kind fand ich es immer faszinierend wenn man die Klappe dann nach einiger Zeit an dem kleinen schwarzen Bakelitgriff nach unten drückte, der Toast dabei eine perfekte Wende vollführte und sich dann mit der noch hellen Seite an den Grill schmiegte. So ein Teil will ich unbedingt wieder haben. Es ermöglicht die perfekte Toastscheibe für jeden Zweck, weil man den Vorgang optisch und vor allem olfaktorisch unter Kontrolle hat.

Nun bin ich also hier, im Gedränge. Es ist unschwer zu erkennen, dass hier der Hausstand einer älteren Dame aufgelöst wird, die wohl vor einigen Wochen verstorben ist. Geschäftsführerinnen des heutigen Tages sind zwei Damen, ganz eindeutig Schwestern.
Ihr betont höflich-fröhlicher Umgangston lässt erkennen, dass man sich gerade eben noch ohne die Mithilfe eines Juristen darauf geeinigt hat, wie die Kosten der Bestattung aufgeteilt werden und wer welchen Teil am Erbe erhält.
So ist dieser Menschenschlag hier. Streiten bis zum geht nicht mehr, durchaus auch Lust an der einen oder anderen Gehässigkeit und Intrige, ausgeprägte Neigung zur Gier. Und just diese Gier ist es, die Kontrahenten dann im letzten Moment zu einem Kompromiss finden lässt. Eine Kröte zu schlucken ist immer noch besser, als sie einem Anwalt zu schenken.

In Erwartung der erhofften Umsätze haben die Damen Gürteltaschen angelegt. Mit sichtbarer Enttäuschung macht sich die Gruppe der professionellen Wohnungsauflösungsspezialisten auf den Rückzug. Nein, die Gründerzeitkommode, das Vertiko mit den gedrechselten Säulen und dem Nussbaum–Wurzelholzfurnier in den Türfassungen und die anderen Möbel haben die Damen schon an einen Antiquitätenhändler verkauft, die werden morgen abgeholt. Die Bücher sind schon zum Kirchenbasar gebracht und den Schmuck haben wir selbst aufgeteilt. Für Profis ist hier nichts mehr zu holen. Fünf Minuten später sind die Kleinbusse aus der stillen Sackgasse verschwunden.

Die Räumungsorgie ist gut vorbereitet. Alles ist aus den Schränken geräumt und mit kleinen Preisschildern beklebt. Das Preisgefüge ist so, dass es selbst dem Inhaber eines AllesfüreinenEuroladens die Schamröte ins Gesicht triebe. Ich weiß nicht, ob ein alter, angerosteter Gurkenhobel aus Plastik einem Sammler zwei Euro wert ist.
In der Ecke steht ein alter Teewagen. Mit Würde trägt er die gesprungenen Kacheln auf seiner Abstellfläche und zittert vor dem Moment, an dem jemand den Versuch wagt, ihn in Bewegung zu setzen. Das wäre sein Ende. Aber mit Stolz trägt er sein Preisschild. Das lässt nur einen Schluss zu: dieser Teewagen ist vor vielen Jahrzehnten von Emerson Fittipaldi persönlich eingefahren worden.

Nein, meinen Toaster finde ich hier nicht. Dafür kann ich dem einen oder anderen Verkaufsgespräch beiwohnen. Schon dafür hat sich das Kommen gelohnt. Die Damen sind dem Prinzip der Shareholder Value Maximierung verpflichtet. Die Preise stehen ja dran und verhandelt wird nicht. Immer wieder höre ich den mit spitzen Lippen vorgetragenen Satz: Sie müssen es ja nicht kaufen...

Während sich immer neues Publikum durch das Haus drängelt, scheitere auch ich an den fest gefügten Vorstellungen der Unternehmerinnen. Aber ich bin einfach nicht bereit, mehr als drei Euro für einen kleinen Bilderrahmen zu zahlen, den ich in mühsamer Kleinarbeit erst mal wieder ansehnlich machen muss. Er hätte gut zu einer netten, alten indischen Grafik gepasst, die schon seit fast zwei Jahrzehnten ungerahmt in meinem Bücherschrank wartet. Aber ich weiß ja, ich muss das Teil nicht kaufen.

Gerade als ich gehen will, fällt mir ein altes, schwarzes Blechtablett auf, das unter einem Stapel grellgrüner und quietschgelber Keramikteller sein Dasein fristet. Der Anblick löst Erinnerungen bei mir aus. Ich nehme die Teller herunter und meine Vermutung bestätigt sich. Ein Preisschild findet sich nicht. Ich wende mich an eine der geschäftstüchtigen Damen und weise darauf hin, dass das Objekt meines Interesses kein Preisschild trägt. Ach, sagt die Unternehmerin, das alte Blechtablett, ja, hmmm... Geben Sie mir zwei Euro!

Ich kann es nicht lassen. Na ja, sage ich, ein altes Blechtablett, finden Sie nicht, dass ein Euro auch reicht. Sie hat es eilig, da ist jemand, der sich für das Kaffeeservice mit den angeschlagenen Tassen, Richtpreis zwanzig Euro, interessiert. Und ich zahle meinen Euro, nicke freundlich, als Sie mir bestätigt dass es doch ganz einfach sei, etwas Gutes zu einem guten Preis zu bekommen.

Mit meinem Blechtablett radele ich quietschvergnügt nach Hause. Abends gönne ich mir meinen Nightcup dann auf einem stilvollen Silbertablett. Das habe ich nach knapp zwei Stunden Putzen redlich verdient. Aber bei dem Einstandspreis meckere ich natürlich nicht. Das Pendant dazu, das ich von meinen Großeltern geerbt habe, ist noch in einem der Umzugskartons verpackt und wartet auf die Weiterreise, die nun wohl bald beginnt.
Und während ich meinen Wein genieße, der Musik von Chanticleer lausche, frage ich mich, ob es überhaupt noch Sinn macht etwas zu bewahren, damit es, wenn die Zeit gekommen ist, von gierigen Erben verhökert wird.

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