***mittendrin und zwischendurch***
Montag, 9. Juli 2007
Lynchjustiz auf dem Land...
Am 09. Juli 2007
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft erklärte dass es bislang völlig rätselhaft sei warum es am gestrigen frühen Abend im Schalterraum des Postamtes zu E. zu einem bisher einzigartigen Fall von Übergriff auf eine ältere Touristin aus Süddeutschland gekommen sei. Aus bislang nicht bekanntem Grund stürzte sich eine Gruppe von Wartenden auf die Frau und fügte ihre schwere Prellungen und eine Bissverletzung zu die eine stationäre Behandlung in der Klinik erforderlich machten. Auch der Hauptverdächtige ist bislang nicht vernehmungsfähig da er einer Kieferoperation unterzogen werden musste. Der zweite Verdächtige wurde in eine Nervenklinik eingeliefert und ist ebenfalls nicht vernehmungsfähig weil er aufgrund von paranoiden Erscheinungen in ein Beruhigungskoma versetzt wurde. Zeugen die sachdienliche Hinweise geben können werden gebeten sich mit den Ermittlungsbehörden in Verbindung zu setzen.

So kurz vor sechs war ich auf dem Postamt. Man muss einigermaßen zeitig vor sechs da sein weil sonst die Post nicht mehr am gleichen Tag auf die Reise geht. Geschäftsleute wissen das. Sie richten sich so ein dass sie spätestens eine Viertelstunde vor Schalterschluss da sind. Alle drei Schalter waren besetzt. Allerdings hatte Heino P., der normalerweise den mittleren Schalter bedient gerade eine knapp dreiviertelvolle Box mit Postgut aufgenommen und machte sich daran diese mit einer Geschwindigkeit von zwei Angström pro Stunde Richtung Lagerraum zu tragen. Nicht umsonst hatte sein Orthopäde ihm zur Vorsicht bei körperlicher Betätigung geraten. Lieselotte F., für den Schalter rechts außen zuständig führte gerade ein dienstliches Telefonat mit ihrer Freundin Luise P. in der Postgirozentrale um zu klären ob man sich nun vor oder im Café S. zur Dienstabschlussbesprechung treffen solle.

Hannelore W. am Schalter links hatte gerade einen ausländischen Mitbürger und Migranten mit den Feinheiten deutscher Postvorschriften vertraut gemacht und ihm in einem knapp zwanzig Minuten langen Intensivkurs erklärt dass es ihr völlig unmöglich sei, jetzt die Postleitzahl von Novyx-Züdriszk in ehemalig Deutsch-Sachalin ausfindig zu machen und außerdem möge er doch bitte einen neuen Aufkleber für sein Paket erstellen. Soooo ginge das Ganze schließlich nicht und hier wird leserlich geschrieben.

Hinter dem ausländischen Mitbürger stand eine ältere Dame. Anhand ihrer Kleidung eindeutig als Touristin zu identifizieren. Sie sah genau aus wie eine jener frühen Witwen die es erfolgreich geschafft hatten den Gemahl nach einem arbeitsreichen Leben kurz nach Renteneintritt ins Paradies zu befördern. So erschien es mir jedenfalls denn ich konnte mir gut vorstellen dass das Leben auf Erden mit ihr die Hölle gewesen sein musste. Besagte Dame trug dunkelblaue Espadrilles aus Plastikschnur die unschwer dem Sortiment eines Textildiscounters zugeordnet werden konnten. Darüber zeigte sich eine durch Nordic Walking gestählte Wade in der Farbstellung brauner Straßenköter mit dezentem Stich ins Schwefelgelb. Eine knapp sitzende hellblaue verschossene Caprihose und ein nicht minder eng sitzendes T-Shirt zeugten gleichermaßen von dem Bemühen um ewige Jugend wie von Sparsamkeit. Blonde Haare an denen die Wunder der Chemie deutliche Wirkung zeigten, zu einer Art modischem Wischmopp zusammen gefasst, krönten nebst einer neckisch in den Mopp hochgeschobenen Sonnenbrille, Modell Lollo einer bekannten Edelmarke, das Outfit. Weitere Informationen konnte der interessierte Beobachter aus kleinen Details wie mehrfach luxusbeschlagringten Fingern erkennen. Wobei nicht ganz klar war ob die beginnende Deformation der Gelenke auf Überbeanspruchung durch Karate (nein, nicht der Kampfsport) oder beginnende Gicht zurück zu führen war. Und auch sonst war die Dame aufgrund ihres funkelnden Behangs ähnlich wie ein Sendemast mit Warnlampen relativ gut gegen versehentliches übersehen werden geschützt. Über die Schulter gehängt hatte sie eine jener Taschen deren Form eine Kreuzung aus Kuhmagen und Plastiktragetasche zugrunde lag.

Hinter besagter Dame hatte sich inzwischen eine Reihe von knapp zwanzig Postkunden aufgestellt die alle darauf hofften ihre wichtigen Depeschen, Päckchen und Pakete noch rechtzeitig vor dem Eintreffen des motorisierten Postillions aus der Kreisstadt aufgeben zu können. Direkt hinter der Dame, zwei Plätze vor mir konnte ich den Boten der Drogerie erkennen der eine ganze Reihe von Paketen auf seinen Armen balancierte. Sein Bemühen den Stapel sorgfältig ausbalanciert zu halten gemahnte an die Kunstfertigkeit eines Jongleurs mit gehobener Perfektion. Ich bin fast sicher dass die Post keine Ablagemöglichkeiten für Kunden mit vielen Päckchen zur Verfügung stellt um ihren Bediensteten solche artistischen Auftritte der Kunden als Teil des Gehaltes in Rechnung stellen zu können.

Die Protagonistin des Geschehens hatte sich inzwischen vor dem Schalter von Hannelore W. in Position gebracht. Es dauerte nur knapp fünf Minuten bis sie dem Kuhmagen ihre Lesebrille und eine Postkarte entrissen hatte.
„Ich hädd gern ä Briefmärggle für des Poschdgärddle!“ sagte sie zu Hannelore W. Diese tippte einen kleinen Moment auf der Tastatur ihres Eingabegerätes herum worauf der Drucker ein Portoetikett ausspuckte.
„Ha noi!“ sagte die Dame mit Nachdruck.
„Nach Vietnam?“ fragte Hannelore W. verunsichert. „Geht die Postkarte nach Vietnam?“
„Ha noi!“ wiederholte die Kundin. „I wollet ä richdigge Briefmargge zum draufklebbä. Aber bitte ä Schönne. Ää wo zu dem Bild auf dem Gärddle basst!“
Hannelore W. schwankte zwischen Trotz und Unsicherheit. Schließlich siegte die Angst vor der fremden Sprache und sie griff nach einem Streifen mit Postwertzeichen, wie es amtlich korrekt heißt.
„Noi, diiiiieeeee will I nedde...!“ sagte die Kundin nachdem sie einen kurzen Blick auf das Angebot geworfen hatte. Resolut rückte sie das Modell Lollo im aufgetürmten Mopp zurecht. „I brauched was in Blau, was zu dem Gärddle basst. Hennse nedde was mit änner blauen Blüte? So e Märggle hann ich schon mal g`habbt.“
Hannelore W. war sprachlos. Noch nie war ihr der Gedanke gekommen dass Postkarte und Briefmarke womöglich ein Gesamtkunstwerk bilden konnten. Die Kundin insistierte:
„Des Gärddle isch für mei Freundin Tamara in Baden-Baden und die isch ja soooooo empfindlich. Also wenn’s vielleicht eins von denne blaue Märggle, I glaub da war ä Enzian, oder noi, wars ä Horddensie? Also da war so ä blaues Blümel drauf!“
Hannelore W. kramte in ihrer Schublade während der Drogeriebote mit seiner Paketsäule eine Mischung aus Veitstanz und chinesischer Tellerjonglage darbot. In den Reihen hinter mir war deutlicher Unmut zu vernehmen, auf den Punkt gebracht von einem Bürger eindeutig südländischer Provenienz. Er sprach nicht nur mir aus dem Herzen:
„Moag oamal jemand der oiden Schratzn durddn soaggn dass` sich ihr Bapperl endlich an`n Oarsch kleem`n soll?“
In der mittlerweile noch länger gewordenen Schlange gab es zischelnden Beifall und leichtes, vergnügte Hüsteln. Die Kundin ließ sich davon nicht beirren. Im Gegenteil. Sie war an der Reihe und sie gedacht nicht das Feld mit einer stilistisch unzureichenden Kombination aus Grußkarte und Postwertzeichen zu verlassen. Nach diversen Vorschlägen seitens Hannelore W., sorgfältiger Farbabstimmung und eingehender Diskussion über die Stimmigkeit von Postkarten- und Postwertzeichenmotiv entschloss die Kundin sich schließlich für eine maritim angehauchtes Postwertzeichen mit Leuchtturm. Hannelore W. wollte gerade erleichtert den obligaten Zahlungsbeleg ausdrucken als die Kundin die Rückseite der ausgewählten Marke gerade mit spitzem Zeigefinger prüfte.
„Die ist aber ned selbstgläämmd“ stellte sie mit einigem Verdruss fest. „So eine welled I au nedd, die schmeckedd ja fürchterlich, früher konnt man so ä Märggle noch oalegge, heit ist es ja es schiere Giffd...“
Was nun folgte spielte sich in Sekundenbruchteilen ab aber wenn ich die Augen schließe und mich konzentriere kann ich die Ereignisse immer noch wie in Zeitlupe vor mir ablaufen sehen.
Wie bei einem Vulkanausbruch konnte ich plötzlich einen strengen Geruch wahrnehmen. Gerade noch konnte ich erkennen dass sich im Nacken des Drogerieboten kräftige Schweißperlen gebildet hatten. Seine zirzensische Darbietung hatte sich ins Nonplusultra gesteigert. Plötzlich drehte er einen Doppelaxel, ergänzte ihn mit einem zweifachen Rittberger und endete mit eine einfach gesprungenen Toeloop und einer gehockten Pirouette während über ihm der Stapel der sorgsam gepackten Päckchen wie ein mitleidiger Regen hernieder ging. Schließlich fiel er ganz zu Boden, breitete seine Armen weit aus als ob er seine Schützlinge in seine sicheren Arme zurück locken wollte. Ein heftiges Schluchzen, gefolgt von einem heiseren Schrei der verblüffende Ähnlichkeit mit dem brünstigen Ruf eines Wolfsrüden hatte warf er sich nach vorne und schlug seine Zähne mit animalischer Wucht in die vor ihm befindliche Wade.
Die Eigentümerin der Wade zuckte vor Überraschung und Schmerz heftig zusammen, rotierte ihrerseits nach bester Schwanenseemanier in hochtouriger Pirouette und schlug dabei ihre Kreuzung aus Kuhmagen und Plastiktüte einigen bis dato unbeteiligten Wartenden um die Ohren. Der Rest ist nicht mehr genau nachzuvollziehen. Hannelore W. hatte instinktiv mit einem harten Hüftschwung ihre Kassenschublade gesichert und ging hinter dem vor ihr stehenden Monitor in Deckung. Hanno P. der inzwischen etwa die Hälfte der zwei Meter zwischen Schalter und Türe zum Lagerraum zurück gelegt hatte ließ die Box mit der Briefpost fallen und registrierte mit Verzückung, dass diese die Spitze seines rechten großen Fußzehs getroffen hatte. Umgehend bog er schnellen Schrittes nach links in Richtung Personalräume ab um telefonisch einen Notfalltermin mit seinem Orthopäden zwecks langfristiger Krankschreibung nach Dienstunfall zu vereinbaren.

Bis zum Eintreffen der Ordnungskräfte kam es im Schalterraum zu diversen Kollateralschäden da das Publikum teilweise die Gelegenheit nutzte um sich durch sportliche Betätigung einen Besuch im Fitness – Studio zu ersparen. Der Drogeriebote wurde nach einer tieramtsärztlichen Untersuchung auf Tollwut und Vogelgrippe der Kieferchirurgie zugeführt. Die Kundin wurde aus Sicherheitsgründen mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik der Kreisstadt geflogen nachdem man ihr gestattet hatte ihr weißes T-Shirt gegen ein gelbes, besser zum Fluggerät passendes auszutauschen. Die Renovierungsarbeiten am Schalterraum werden einige Tage in Anspruch nehmen, Postkunden werden gebeten so lange den Aushilfsschalter der vorübergehend hinter der Käsetheke der Metzgerei F. eingerichtet wurde in Anspruch zu nehmen.

Ach Schwester, kommen Sie mit der nächsten Spritze?

Permalink (3 Kommentare)   Kommentieren

 
Sonntag, 8. Juli 2007
Tati`s Schützenfest...
Am 08. Juli 2007
Ich wollte ein Eis essen. In E. wo ein begnadeter Konditor sein Handwerk ausübt. Rechts und links gibt es Italiener mit Eis in Tiefkühltruhen und ein Stück weiter oben an der Fußgängerzone verkauft ein geschäftstüchtiger Lebensmittelhändler das mit Stickstoff aufgeplusterte Schaumzeugs der Firma Mövenschiet das ihm in den ach so praktischen Plastikkübeln angeliefert wird. Kübel von denen er einfach den Deckel runter reißt. Sie danach in seine Truhe stapelt und den Inhalt dann löffelchenweise an die Touristen verfüttert. Sein Matsch Eis ist das Teuerste. Liegt wohl am Stickstoffgehalt. Jedenfalls hat dieser Mist keine Ähnlichkeit mehr mit Eis sondern allenfalls mit Spachtelmasse zum Ausfüllen von Rissen im Putz. Aber nicht mal dazu taugt der Kram.

Der Konditor meiner Wahl hat seinen Laden genau in der Mitte der Fußgängerzone. Er kann nicht nur Eis sondern auch begnadete Torten, Kuchen und er beherrscht das Handwerk des Pralinenmachens meisterhaft. Dorthin zog es mich heute, das Wetter war perfekt für eine kleine Tour mit dem Rad. Weiße Plusterwolken in bester Kitschmanier über einen dunkelblauen Himmel segelnd, leichter Wind und angenehme Temperaturen für eine ausgedehnte Radtour.

Völlig vergessen – oder besser verdrängt – hatte ich die Tatsache das in E. Schützenfest ist. Der Besuch eines Schützenfestes ist für mich so verlockend wie ein ausgiebiger Besuch beim Zahnarzt. Dem halte ich allerdings zugute dass er mich mit Marschmusik und dem Getrommel und Geschepper verstimmter Spielmannszüge verschont. Es wird mir wohl auf immer ein Rätsel bleiben warum mehr oder weniger erwachsene Männer sich in schlecht und recht sitzende, unbequeme Fantasieuniformen reinquälen und dann schwitzend zu einer Art von Musik die erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Lärm einer Bahnhofshalle hat durch staubige Straßenzüge zu marschieren. Und überhaupt sind mir diese Hobbymilitaristen ein Dorn im Auge genau wie die Echten. Und einen Grund zum Saufen findet sich auch so wenn es denn unbedingt sein muss. Dazu muss man nicht mit irgendwelchen Schießprügeln in der Gegend herum fuchteln.

Aber es war zu spät. Als ich in E. eintraf, die letzten Meter bis zur Fußgängerzone mit Vorfreude auf ein mannhaft erradeltes Eis zurücklegen wollte wurde ich durch mehrere Hundertschaften von Schützenfestumzugsbeobachtern abrupt gestoppt. Ich konnte mir einen Fluch nicht verkneifen, nur noch die Lautstärke soweit drosseln dass ich nicht als abgehängter Prekarier auffällig wurde. Ich musste die Fußgängerzone vom anderen Ende anfahren und fand mich auf einmal in Jacques Tatis Film „Schützenfest“ wieder. Gerade als ich mein Rad gegen eigenmächtiges herumradeln sicherte kam er um die Ecke. Nennen wir ihn einfach Fred. Fred gehörte zu irgendeinem Spielmannszug. Einem Spielmannszug in dem er mit dem Schlagen einer Trommel beauftragt war. Leicht daran zu erkennen dass er über seiner Uniform, die aus einer schwarzen Hose und einem weißen Hemd mit irgendeinem Abzeichen auf der Brusttasche einen Gurt aus weißem Leder trug. Und eine Trommel daran. Fred hatte kleine Schweißperlen auf der Stirn. Denn ihm war klar dass irgend etwas schief gelaufen war und dass ihm womöglich Ärger drohte. Ihm war klar dass ihm sein Spielmannszug abhanden gekommen war. Oder umgekehrt. Und dass er jetzt eine gewaltige Lücke in den Cordon der Trommler gerissen hatte.

Fred war nicht ganz alleine. Sein Schritt wirkte zwar entschlossen aber zeigte doch die kleinen Zeichen der Unsicherheit die darauf schließen ließen dass er vom Spiritus Vulgaris begleitet wurde. Gelegentlich zeigte sich einer von Freds Füssen etwas widerspenstig und wagte einen kleinen Seitenausfall. Sofort rief Fred seine Füße zur Ordnung und richtete sich mannhaft auf. Aber das war nicht Freds größtes Problem. Fred schlug gelegentlich mit dem einen Trommelstock den er in der Hand hielt auf sein Instrument. Wohl als Signal an seine weit entfernt marschierenden Genossen gedacht. Holla – ich bin noch nicht verloren auch wenn ich im Moment vom rechten Wege abgekommen bin.

Fred suchte seinen zweiten Trommelstock. Immer wieder drehte er sich ungläubig um und begutachtete das hinter ihm liegende Pflaster. Dann schlug er wieder mit dem Trommelstock in der Hand auf seine Trommel. Konnte er so den vermissten zweiten Trommelstock herbei locken? Der zweite Trommelstock dachte gar nicht daran sich herbei locken zu lassen. Er steckte nämlich in Freds rechter hinterer Hosentasche und hatte es sich neben einem dort an einem martialisch wirkenden Karabinerhaken aufgehängten Schlüsselbund bequem gemacht der Quasimodo zur Ehre gereicht hätte. Fred war aber ziemlich ernsthaft davon überzeugt dass sich der zweite Trommelstock aus dem Staube gemacht hatte. Ihn heimtückisch hinters Licht geführt und die Flucht ergriffen hatte um sich nicht das elende Geschepper einer verstimmten Spielmannszuges antun zu müssen. Deswegen drehte er sich immer wieder um und lief eine Strecke seines Weges zurück und inspizierte das Pflaster dabei mit Argusaugen. Sherlock Holmes hätte seine Freude an ihm gehabt. Auch deswegen weil er die um ihn herum laufenden Fußgänger, die seine Not nicht erkannten, immer wieder mit höchst kritischem Blick inspizierte. Aber da keiner von ihnen eine Trommel bei sich hatte war die Wahrscheinlichkeit dass man ihm den Trommelstock gestohlen hatte schlichtweg gering. Das konnten sogar Fred und der ihn begleitende Geist des Weines einsehen.

Fred konnte sich scheinbar daran erinnern dass er seine Trommelstücke irgendwann in einer seiner Gesäßtaschen verstaut hatte. Immer wieder versuchte er mit der rechten Hand um sich herum zu greifen um seine linke Gesäßtasche zu inspizieren während der vermisste Trommelstock in der Rechten höhnisch grinste. Dann wiederum hielt Fred seine Trommel mit der rechten Hand und griff mit der linken Hand um sich herum. Zur rechten Gesäßtasche. Und er stellte beruhigt und erfreut zugleich fest dass wenigstens Quasimodos Schlüsselbund noch an seinem Platz war. Den direkt daneben steckenden Trommelstock konnte er allerdings nicht ertasten, der gewaltige Schlüsselbund schützte seinen Gast.

Es war wirklich ein Vergnügen Freds Auftritt zu beobachten. Fred war nicht auffällig und torkelte. Es waren diese klitzekleinen Ausfälle in der Feinmotorik die seinen Gang zu einem kleinen Tanz werden ließen. Er bot eine geradezu meisterliche komische Eleganz für die ein Pantomime lange Jahre trainieren müsste. Um dann womöglich doch nicht diese Leichtigkeit, diese Natürlichkeit im Ablauf seiner Bewegungen und Tanzschritte zu erreichen.

Fred beschloss nachzudenken und steuerte eine der in der Fußgängerzone aufgestellten hölzernen Bänke an die so stabil sind dass sie auch den stärksten vandalistischen Gelüsten Einhalt gebieten konnten. Und setze sich hin. Wer genau hinhörte konnte das Reißen von Stoff und dieses typische Splittern von Holz hören. Ein leuchtendes Strahlen zog über Freds Gesicht. Er erhob sich und stellte fest dass er nun drei Trommelstöcke hatte. Einen Langen und zwei Kurze. Quasimodos Schlüsselbund hing jetzt deutlich tiefer denn die rechte Hosentasche war vom berstenden Trommelstock beträchtlich erweitert worden und bot tiefe Einblicke. Aber Fred strahlte über sein ganzes Gesicht. Selten habe ich einen so glücklichen Menschen gesehen. Und während ich endlich mein Eis genoss dachte ich darüber nach dass Schützenfeste vielleicht doch nicht so schlecht sind, wenn man ganz, ganz weit außen am Rand bleibt.

Permalink (1 Kommentar)   Kommentieren

 
Samstag, 7. Juli 2007
Time Machine
Am 07. Juli 2007
Ich war in die Kleinstadt A. gefahren weil ich mich mal wieder auf einem anderen Wochenmarkt umschauen wollte. Auf dem Wochenmarkt den ich heute unsicher machen wollte steht mein favorisierter Fischhändler mit seinem Wagen. Es ist schon komisch dass man hier, direkt hinter dem Deich, so gut wie keinen vernünftigen frischen Fisch bekommt. Schollen gibt es, irgendwie in der Fritteuse vergewaltigt, sauren Hering oder Mattjes zwischen zwei pappige Brötchenhälften aus einer undefinierbaren, braungrauen Masse eingeklemmt. Dazu die obligatorischen Krabben die für den Touristen scheinbar das Maxímum an kulinarischer Extravaganz zu sein scheinen. Krabben die hier aus dem Meer gefischt werden, dann tiefgekühlt vom Krabben-Monopolisten aus Holland per LKW abgeholt werden. Dann im LKW nach Marrokko (jawohl - nach Marrokko!) verschleppt werden. Dort werden sie von niedrigstentlohnten Marrokanerinen ihrer schützenden Schale beraubt und dann wieder per LKW zurück nach Ostfriesland gebracht. Hier klemmt man sie dann zwischen die obligatorischen Pappbrötchenhälften und offeriert sie dem Touristen als unvergleichliche meeresfrische Delikatesse. Die wahre Kunst allerdings besteht darin während der ganzen vierzehntägigen Tour de Krabbe die Kühlkette nicht abreissen zu lassen und die Ascorbinsäure sehr fein und vorsichtig zu dosieren. Nichts anderes als Krabbendoping. Ansonsten gibt es hier noch die ebenso obligatorische geräucherte Makrele, Forellen aus Käfighaltung in diversen Stadien und das perverseste Produkt der Fischindustrie, den Viktoriabarsch. En Masse unter höchst fragwürdigen Umständen im Viktoriasee fabriziert, danach filettiert und als zwar grätenfreies aber um so antibiotikahaltigeres Leckerli in der Fischtheke zu landen. Nein, den ganzen Müll möchte ich nicht haben. Mein Fischhändler hat ein kleines Angebot. Er holt es sich mühevoll aus Holland. Sortiert aus, zahlt mehr als seine benachbarten Großfilialisten und schlägt sich ziemlich mühevoll durch. Aber man kann bei ihm Thunfisch kaufen, frische Doraden, St. Pierre und auch Jakobsmuscheln wenn die Zeit dafür reiff ist. Alles in guter Qualität. Und er ist so fair und gesteht dass sein Thunfisch keine Sushi-Qualität ist und setzt den Preis entsprechend fest. Alles in allem ist es die Mühe wert den Weg in diese Kreisstadt zurück zu legen. Nebenbei - heute gab es Lengfisch aus Norwegen. Festes weisses Fleisch mit einem verführerischen Geschmack nach Meer und Meeresalgen. Ich habe ihm die Ehre eines Gemüseratatouilles aus frischen Auberginen, Tomaten und einer kleinen Zucchini erwiesen. Mit fein gehackten Knoblauch, frisch gemörstem Pfeffer und dazu gab es einen Entre deux Mers mit feiner Säure und frischen Aromen von Limone, Waldbeeren und ganz hinten dezenter Melisse auf der Zunge.
Irgendwann beim Einkaufen bekam ich Lust auf ein Eukalyptusbonbon. Ich weiss - es ist ziemlich verrückt beim Einkaufen von Fisch Lust auf ein Eukalyptusbonbon zu bekommen. Und es sofort und auf der Stelle auch haben, schmecken zu wollen. Es mag am Wetter gelegen haben denn es goß immer wieder wie aus Kübeln. Aber manchmal packt es mich halt, warum auch immer. Ich bin an einem Neujahrstag schon einmal knapp fünzig Kilometer gefahren weil ich unbedingt eine frische Ananas haben musste. Gottseidank packen mich diese Gelüste selten. Aber wenn sie mich packen dann gibt es kein Zurück. Also machte ich mich auf den Weg. Ich bog in Gedanken in die falsche Richtung ab. LIef ans andere Ende der Fußgängerzone die mich noch nie sonderlich interessiert hatte und geriet auf einmal in eine Zeitmaschine.



Da war diese kleine Schild Drogerie an einem eher unscheinbaren Haus, ein kleines Schaufenster mit noch unscheinbareren Auslage und die alte, geschnitzte Holztüre. Die Holztüre durch die ich in meine Kindheit zurück kehren konnte. Es gab den oben an der Türe angebrachten Metallstift der beim Aufschwingen des Türflügels gegen die darüber aufgehängten Glockenstäbe schlug und dieses einzigartige, bis heute nicht vergessene, Dingdongdingdong erzeugte das schon die Anmutung einer mittelalterlichen Glockenspielmelodie hat. Das zu den Geräuschen meiner Kindheit gehört wie der Westminsterschlag und das harte, rhytmische Ticken von Großvaters Standuhr in seinem Arbeitszimmer. Da war er wieder, dieser typische Geruch einer Drogerie aus den sechziger Jahren. Diese Melange aus unterschiedlichsten Kräutern, Essenzen, Aromen die ich schon jahrzehntelang nicht mehr gerochen hatte. Ich schloss meine Augen und sah den Drogisten aus meiner Jugendzeit vor mir. Mit seinem makellos weissen, gestärkten Kittel, seiner sorgfältig gebundenen modisch schmalen, dunkelroten Krawatte. Der mir das von der Großtante bestellte Kölnisch Wasser wie eine Kostbarkeit erst in hellblaues Seidenpapier und dann in ein festes, gelb-blaues Papier einschlug. Der es verstand aus dem Inhalt seltsamer Flaschen mit Glasstopfen und irgendwelchen Pülverchen die sorgsam abgewogen wurden Zusätze für Großvaters Fruchtwein - Produktion zu mixen. Die Erinnerung an Süssholz und Lakritze wurde wach. An feine Schokoladenosterhasen die es nur hier in dieser gewaltig erscheinenden Grösse gab oder die vielen Dinge die damals Weihnachten erst zu Weihmnachten machten. Lebkuchengewürz, Lametta, Kerzen aus Bienenwachs. Pralinés in bunten Stanniolverpackungen, Flaschen mit Stärkungsmittelchen für Grosse und Kleine. Den Klosterfrau-Melissengeist dem die Mieterin in der Wohnung unter uns wohl mehr zusprach als medizinisch indiziert war. Und der Rotkäppchen-Saft den ich verabreicht bekam wenn die ersten Wintertage eine Ahnung davon weckten dass das Jahr sich langsam aber unerbittlich seinem Ende zuneigte. All das war auf einmal in überwältigender Weise wieder präsent.



Ein einfacher Schritt durch eine geschnitzte alte, in ihren ausgeschlagenen Angeln quietschende Holztüre reichte aus um mehr als vierzig Jahre zurück zu kehren. Ich werde es wieder tun, solange es noch geht. Denn es ist absehbar dass diese Wunder wie so viele andere leider verschwinden wird. Geopfert auf dem Altar der Rationalität und des Profits. Aber ich werde so oft es noch geht in die Vergangenheit zurück kehren um kostbare Erinnerungen aufzufrischen. Und an eines erinnere ich mich noch genau. Damals gab es bei jedem Besuch beim Drogisten gemischte Bonbons. Als Geschenk des Hauses. Jawohl, ich bekam gemischte Bonbons geschenkt. Na gut, klingt vielleicht etwas übertrieben. Ich durfte mir ein Himbeerbonbon aus dem rechten und einen Zitronendrops aus dem linken Glas auf der Theke nehmen. Mischen musste ich sie mir dann selbst.....

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren

 
... ältere Einträge