***mittendrin und zwischendurch***
Freitag, 7. September 2007
Fünf Mal fünf ist fünfundsiebzig...
Am 07. September 2007
Ein kleiner Einkauf beim Metzger ist ja nicht so schwierig. Dazu brauche ich keinen Einkaufszettel. Wozu sollte ausgerechnet ich mir aufschreiben müssen, dass ich fünf Frikadellen, fünfzig Gramm Kochschinken und zweihundertfünfzig Gramm Hackfleisch brauche? Das ist doch nun wirklich kinderleicht. Man baue sich eine kleine Eselsbrücke à la fünf Mal fünfzig ist zweihundertfünfzig und schon ist man auf der sicheren Seite.

Der Parkplatz vor dem Ladengeschäft des Metzgers meines Vertrauens ist stark frequentiert. Und er wird von einer Politesse bewacht, die nur zu gut weiß, dass es häufig zu längeren Wartezeiten kommt. Im Zweifelsfall muss man sich also entscheiden, ob man die Verkäuferin mit der angeschnittenen Rinderhälfte in der Hand abrupt sich selbst überlässt und im Schweinsgalopp zu seinem Auto zischt um die Parkscheibe ein klein wenig zu justieren, oder ob man einen geringfügigen Verwaltungsaufschlag aufs Suppenfleisch akzeptiert. Wenn also fünf Kunden vor einem sind, die jeweils knapp zehn Minuten brauchen, dann kommt man mit fünfzig Minuten hin, kann die Parkscheibe also entsprechend einstellen.

Zu meiner Freude war heute auf dem Parkplatz nicht viel los. Und auch beim Metzger ging es geruhsam zu. Wie, üblich wenn viel Kundschaft erwartet wird, stand nur eine Bedienung hinter dem Tresen. Das hört sich widersprüchlich an, ist aber eine geschickt ausgeklügelte Marketingstrategie des Metzgers. Denn wenn ein Laden derartig voll ist, dann muss er ja gut sein.

Fünf Frikadellen, fünfzig Gramm Kochschinken und zweihundertfünfzig Gramm Hackfleisch. Und nur eine Kundin vor mir. Eine ältere, ziemlich resolut wirkende Dame. Die grauen Haare straff nach hinten gebürstet und mit einem rosa Haargummi zusammen gefasst. Auf der Nase eine randlose Brille, in der linken Hand einen sorgsam zusammen gestellten Einkaufszettel, in der Rechten einen Kugelschreiber. Der klassische Typus grauer Terrier, pardon, ich meine natürlich grauer Panther. Ich blickte beruhigt auf den Parkplatz hinaus und wiederholte ein paar Mal: fünf Mal fünfzig ist zweihundertfünfzig. Von der Politesse mit dem Charme einer Muräne war nichts zu sehen. Nachdem ich in den vergangenen Wochen fünf Mal erwischt worden und jedes Mal fünf Euro bezahlt hatte, insgesamt also fünfundzwanzig Euro, würde ich heute nicht in Nöte geraten. Dann sickerte langsam die Stimme der Kundin vor mir in meinen Gehörgang:

„Ach bitte – können Sie mir vielleicht mal beschreiben wie diese Wurst schmeckt?“ Sie deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger irgendwo in die Kühltruhe.
„Welche meinen Sie?“ fragte die Verkäuferin verunsichert. „Unsere Schinkenmettwurst oder die hausgemachte Mortadella?“
„Ach Papperlapapp,“ sprach das grauhaarige Persönchen. „Wie Mortadella schmeckt, weiß ich selbst. Ich meine die Wurst zwischen der Viereckigen mit den hellrosa Stücken und der Ovalen mit den grünen und gelben Pünktchen!“
„Ach, Sie meinen unsere hausgemachte Pümmelmettwurst!“, sagte die Bedinung erleichtert.
„Kümmelmettwurst? Also Kümmel vertrage ich üüüüüberhaupt nicht!“, sagte die Grauhaarige. „Von Kümmel bekomme ich entsetzliche Blähungen.“
„Das ist eine PPPPPPümmmelmettwurst!“, insistierte die blondbezopfte Bedienung mit spitzem Mund. „Ppppümmel. Hat mit Kümmel nicht das Geringste zu tun!“
Die grauhaarige Kundin rückte ihre Brille etwas zurecht, eine gewisse Nervosität war ihr nicht abzusprechen. Während ich das Gespräch interessiert weiter verfolgte, erinnerte ich mich daran, dass ich fünf durch zweihundertfünfzig geteilte Frikadellen brauchte, fünfundzwanzig Kilogramm Kochschinken und fünfzig Gramm Hackfleisch.
„Bitte, warum heißt die Wurst PPPüümmelmettwurst?“ Die Kundin versuchte, das ihr nicht geläufige Wort genauso pointiert auszusprechen, wie das blondbezopfte Wesen hinter dem Tresen es gerade vorgemacht hatte.
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen! Aber wir stellen sie schon seit Generationen nach einem geheimen Hausmacher – Rezept her!“, sprach die Bedienung. Schließlich war sie dazu da um zu wissen wie die Wurst hieß aber doch nicht warum. „Möchten Sie vielleicht ein Stück probieren?“
„Na – daaaas lasse ich dann doch lieber!“, sagte die grauhaarige Kundin mit hochgezogener Augenbraue und spitzen Lippen, während ich mich fragte, warum ich eigentlich zweihundertfünfzig Kilogramm Hackfleisch brauchte und auf meiner Uhr mit Erschrecken feststellte, dass von fünfzig Minuten Parkzeit mehr als fünfundzwanzig schon verstrichen waren.
„Dann geben Sie mir bitte ein Stück von der groben Hausmacher Leberwurst, aber nur wenn sie nicht zu stark nach Majoran schmeckt! Meine Cousine dritten Grades bekommt entsetzliche Gallenkoliken, wenn sie zu viel Majoran isst!“
„Also Majoran ist drin, aber ich weiß nicht, ob es Ihnen zu viel ist! Möchten Sie vielleicht probieren?“
„Ich bin doch nicht zum Frühstücken hergekommen oder meinen Sie ich habe heute nichts anderes mehr vor? Sie werden doch wohl in der Lage sein mir zu sagen, ob in der groben Hausmacher Leberwurst viel oder wenig Majoran drin ist!“
„Also,“ das blondbezopfte Wesen schwang ihre fülligen Hüften leicht hinter dem Tresen, „also ich würde sagen da ist normal viel Majoran drin!“
„Na also, es geht doch, dann schneiden Sie mir bitte ein Stück ab. Nein etwas mehr, nein nicht so viel, nun ist es wieder zu wenig also bitte noch ein bisschen mehr. Na gut dann sind es halt fünfzehn Gramm mehr.“
Ich vermeinte zu sehen, dass die Blondbezopfte das Messer mit einem gewissen Wucht in der Wurst versenkte. Aber ich wurde abgelenkt. Am anderen Ende der Strasse sah ich die Muräne, also die Politesse, heran kommen. Ich überschlug, dass von meinen fünfzig Minuten Parkzeit rund fünfunddreißig Minuten verstrichen waren, während sie für den Weg zum Parkplatz rund fünfundzwanzig Minuten brauchen würde, vorausgesetzt sie würde unterwegs fünf Gebührenbescheide verteilen. Das sollte reichen damit ich meine fünf Gramm Kochschinken, meine fünfundzwanzig Frikadellen und die fünfhundert Kilo Hackfleisch erwerben konnte.
„Hobeln Sie mir doch bitte noch etwas von der luftgetrockneten Salami!“, sprach die grauhaarige Kundin.
„Wie viel soll ich Ihnen denn schneiden?“, fragte die Bedienung.
„Luftgetrocknete Salami darf man nicht schneiden, die muss man dünn hobeln. Sonst schmeckt sie nicht!“, sagte die Kundin energisch. „Das sollten Sie ja nun wirklich wissen!“ Sie spreizte den kleinen Finger der linken Hand, in der sie den Kugelschreiber nun wie ein Florett führte, weit ab. Das sollte wohl ein Indiz dafür sein, dass luftgetrocknete Salami in ihren Kreisen schon seit Jahrhunderten gehobelt und nicht geschnitten wurde.
„Ich habe aber keinen Salamihobel!“, sprach die Blondbezopfte, während ich registrierte, dass ich meine fünf Gramm Hackfleisch, meine fünfhundert Scheiben Kochschinken und die fünfundzwanzig Frikadellen wohl wieder mit einem fünfprozentigen Aufschlag der Muräne büßen würde, wenn nicht innerhalb von fünf Minuten ein Wunder geschah. Was die Sache noch schwieriger machte war die Tatsache, dass inzwischen mindestens weitere fünfzehn Kunden im Laden standen, während die Anzahl der Verkäuferinnen gleich blieb.
„Also bitte, natürlich können Sie die Salami dort auf der Maschine hobeln!“, sagte die grauhaarige Kundin mit Nachdruck und deutet auf die Schneidemaschine. Die Blondbezopfte packte die luftgetrocknete Salami mit der ganzen Faust. Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand versuchte, eine Salami zu erwürgen. Das Bild entbehrte nicht einer gewissen Faszination: „Wie viel soll ich Ihnen SCHNEIDEN?“
„HOBELN Sie mir so etwa fünfundsiebzig Gramm! Aber zeigen Sie erst mal eine Scheibe, nein, das ist schneiden, hobeln ist dünner, nicht sooo dünn, ja, so ungefähr, na also, und jetzt bitte fünfundsiebzig Gramm, aber möglichst genau!“
Während die Bedienung zur Tat schritt und die luftgetrocknete Salami mit unerklärlich heftigem Handgelenksschwung regelrecht guillotinierte, drehte sich die Kundin einen Moment um und stellte mit Befriedigung fest, dass sie allseitige Aufmerksamkeit genoss. Ich überlegte unterdessen ob es sich wirklich lohnte, wegen fünf Gramm Hackfleisch, einer fünftel Scheibe Kochschinken und einer zweihundertfünfzigstel Frikadelle wieder fünf Euro in den Rachen der Muräne zu werfen. Die war nämlich nur noch weniger als fünf Minuten vom Parkplatz entfernt. Andererseits gibt es Menschen, die fünfzig Euro für ein schlecht inszeniertes Drama in einem stickigen Theater zahlen. Vom kulturellen Aspekt her gesehen waren fünf Euro vielleicht gut investiert. Inzwischen war es ohnehin zu spät, die Muräne hatte zugeschlagen und das fünf Euro Ticket klemmte in fünf Uhr Position unter dem rechten Scheibenwischer meines Wagens. Ich konnte mich also in Ruhe dem weiteren Geschehen widmen.
„Sind in der Zwiebelmettwurst viele Zwiebeln?“ Das Kugelschreiberflorett beschrieb einen fünfachtel Halbkreis und klopfte gegen die Scheibe der Kühltruhe. Die Hautfarbe der Blondbezopften changierte nun leicht über Rosa nach Hellrot. „Die wird genau nach Rezept hergestellt!“, sagte sie resolut. „Oder haben Sie schon mal Tomatensalat ohne Tomaten gegessen?“
Touché, dachte ich bei mir. Aber der graue Terrier, pardon, Panther, schien völlig unbeeindruckt.
„Nun werden Sie mal nicht pampig, Frollein, ich frage ja nur. Und Sie müssen es ja schließlich wissen!“
Ich will es kurz machen. Die fünf Euro waren gut angelegt, denn das Schauspiel hätte locker noch weitere fünfzig Minuten in Anspruch genommen, wenn nicht die inzwischen auf fünfunddreißig angewachsene Zahl der Kunden deutliche Anzeichen von Unmut gezeigt hätte.
Ich war dann noch rasch im Supermarkt und habe dort fünf Flaschen Korn, fünfzehn Flaschen Wein und fünfundsiebzig Flaschen Bier geholt. Ich schmeiße heute Abend eine Nachbarschaftsparty. Irgendwer muss die siebenhundertfünfzig Frikadellen ja aufessen.

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