***mittendrin und zwischendurch***
Samstag, 7. Juli 2007
Time Machine
Am 07. Juli 2007
Ich war in die Kleinstadt A. gefahren weil ich mich mal wieder auf einem anderen Wochenmarkt umschauen wollte. Auf dem Wochenmarkt den ich heute unsicher machen wollte steht mein favorisierter Fischhändler mit seinem Wagen. Es ist schon komisch dass man hier, direkt hinter dem Deich, so gut wie keinen vernünftigen frischen Fisch bekommt. Schollen gibt es, irgendwie in der Fritteuse vergewaltigt, sauren Hering oder Mattjes zwischen zwei pappige Brötchenhälften aus einer undefinierbaren, braungrauen Masse eingeklemmt. Dazu die obligatorischen Krabben die für den Touristen scheinbar das Maxímum an kulinarischer Extravaganz zu sein scheinen. Krabben die hier aus dem Meer gefischt werden, dann tiefgekühlt vom Krabben-Monopolisten aus Holland per LKW abgeholt werden. Dann im LKW nach Marrokko (jawohl - nach Marrokko!) verschleppt werden. Dort werden sie von niedrigstentlohnten Marrokanerinen ihrer schützenden Schale beraubt und dann wieder per LKW zurück nach Ostfriesland gebracht. Hier klemmt man sie dann zwischen die obligatorischen Pappbrötchenhälften und offeriert sie dem Touristen als unvergleichliche meeresfrische Delikatesse. Die wahre Kunst allerdings besteht darin während der ganzen vierzehntägigen Tour de Krabbe die Kühlkette nicht abreissen zu lassen und die Ascorbinsäure sehr fein und vorsichtig zu dosieren. Nichts anderes als Krabbendoping. Ansonsten gibt es hier noch die ebenso obligatorische geräucherte Makrele, Forellen aus Käfighaltung in diversen Stadien und das perverseste Produkt der Fischindustrie, den Viktoriabarsch. En Masse unter höchst fragwürdigen Umständen im Viktoriasee fabriziert, danach filettiert und als zwar grätenfreies aber um so antibiotikahaltigeres Leckerli in der Fischtheke zu landen. Nein, den ganzen Müll möchte ich nicht haben. Mein Fischhändler hat ein kleines Angebot. Er holt es sich mühevoll aus Holland. Sortiert aus, zahlt mehr als seine benachbarten Großfilialisten und schlägt sich ziemlich mühevoll durch. Aber man kann bei ihm Thunfisch kaufen, frische Doraden, St. Pierre und auch Jakobsmuscheln wenn die Zeit dafür reiff ist. Alles in guter Qualität. Und er ist so fair und gesteht dass sein Thunfisch keine Sushi-Qualität ist und setzt den Preis entsprechend fest. Alles in allem ist es die Mühe wert den Weg in diese Kreisstadt zurück zu legen. Nebenbei - heute gab es Lengfisch aus Norwegen. Festes weisses Fleisch mit einem verführerischen Geschmack nach Meer und Meeresalgen. Ich habe ihm die Ehre eines Gemüseratatouilles aus frischen Auberginen, Tomaten und einer kleinen Zucchini erwiesen. Mit fein gehackten Knoblauch, frisch gemörstem Pfeffer und dazu gab es einen Entre deux Mers mit feiner Säure und frischen Aromen von Limone, Waldbeeren und ganz hinten dezenter Melisse auf der Zunge.
Irgendwann beim Einkaufen bekam ich Lust auf ein Eukalyptusbonbon. Ich weiss - es ist ziemlich verrückt beim Einkaufen von Fisch Lust auf ein Eukalyptusbonbon zu bekommen. Und es sofort und auf der Stelle auch haben, schmecken zu wollen. Es mag am Wetter gelegen haben denn es goß immer wieder wie aus Kübeln. Aber manchmal packt es mich halt, warum auch immer. Ich bin an einem Neujahrstag schon einmal knapp fünzig Kilometer gefahren weil ich unbedingt eine frische Ananas haben musste. Gottseidank packen mich diese Gelüste selten. Aber wenn sie mich packen dann gibt es kein Zurück. Also machte ich mich auf den Weg. Ich bog in Gedanken in die falsche Richtung ab. LIef ans andere Ende der Fußgängerzone die mich noch nie sonderlich interessiert hatte und geriet auf einmal in eine Zeitmaschine.



Da war diese kleine Schild Drogerie an einem eher unscheinbaren Haus, ein kleines Schaufenster mit noch unscheinbareren Auslage und die alte, geschnitzte Holztüre. Die Holztüre durch die ich in meine Kindheit zurück kehren konnte. Es gab den oben an der Türe angebrachten Metallstift der beim Aufschwingen des Türflügels gegen die darüber aufgehängten Glockenstäbe schlug und dieses einzigartige, bis heute nicht vergessene, Dingdongdingdong erzeugte das schon die Anmutung einer mittelalterlichen Glockenspielmelodie hat. Das zu den Geräuschen meiner Kindheit gehört wie der Westminsterschlag und das harte, rhytmische Ticken von Großvaters Standuhr in seinem Arbeitszimmer. Da war er wieder, dieser typische Geruch einer Drogerie aus den sechziger Jahren. Diese Melange aus unterschiedlichsten Kräutern, Essenzen, Aromen die ich schon jahrzehntelang nicht mehr gerochen hatte. Ich schloss meine Augen und sah den Drogisten aus meiner Jugendzeit vor mir. Mit seinem makellos weissen, gestärkten Kittel, seiner sorgfältig gebundenen modisch schmalen, dunkelroten Krawatte. Der mir das von der Großtante bestellte Kölnisch Wasser wie eine Kostbarkeit erst in hellblaues Seidenpapier und dann in ein festes, gelb-blaues Papier einschlug. Der es verstand aus dem Inhalt seltsamer Flaschen mit Glasstopfen und irgendwelchen Pülverchen die sorgsam abgewogen wurden Zusätze für Großvaters Fruchtwein - Produktion zu mixen. Die Erinnerung an Süssholz und Lakritze wurde wach. An feine Schokoladenosterhasen die es nur hier in dieser gewaltig erscheinenden Grösse gab oder die vielen Dinge die damals Weihnachten erst zu Weihmnachten machten. Lebkuchengewürz, Lametta, Kerzen aus Bienenwachs. Pralinés in bunten Stanniolverpackungen, Flaschen mit Stärkungsmittelchen für Grosse und Kleine. Den Klosterfrau-Melissengeist dem die Mieterin in der Wohnung unter uns wohl mehr zusprach als medizinisch indiziert war. Und der Rotkäppchen-Saft den ich verabreicht bekam wenn die ersten Wintertage eine Ahnung davon weckten dass das Jahr sich langsam aber unerbittlich seinem Ende zuneigte. All das war auf einmal in überwältigender Weise wieder präsent.



Ein einfacher Schritt durch eine geschnitzte alte, in ihren ausgeschlagenen Angeln quietschende Holztüre reichte aus um mehr als vierzig Jahre zurück zu kehren. Ich werde es wieder tun, solange es noch geht. Denn es ist absehbar dass diese Wunder wie so viele andere leider verschwinden wird. Geopfert auf dem Altar der Rationalität und des Profits. Aber ich werde so oft es noch geht in die Vergangenheit zurück kehren um kostbare Erinnerungen aufzufrischen. Und an eines erinnere ich mich noch genau. Damals gab es bei jedem Besuch beim Drogisten gemischte Bonbons. Als Geschenk des Hauses. Jawohl, ich bekam gemischte Bonbons geschenkt. Na gut, klingt vielleicht etwas übertrieben. Ich durfte mir ein Himbeerbonbon aus dem rechten und einen Zitronendrops aus dem linken Glas auf der Theke nehmen. Mischen musste ich sie mir dann selbst.....

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