***mittendrin und zwischendurch***
Samstag, 21. Juli 2007
Ein Päckchen Kaffee
Am 21. Juli 2007
Beim Discounter gehört es zum festen Ritual dass am Freitag Nachmittag, wenn die Kunden sich im Laden drängen, alle Kassen bis auf eine geschlossen werden. Das muss so sein. Schließlich sollen die Kassiererinnen rechtzeitig vor dem Wochenende Regale auffüllen. Alte Pappkartons müssen auseinander gerissen und entsorgt werden. Und nicht zuletzt haben die fleißigen, mindestentlohnt geringfügig beschäftigten Teilzeitknechtinnen einen durchaus berechtigten Anspruch auf Pause.

Zufrieden beobachtete die einzig verbliebene Kassiererin wie sich vor ihr eine Warteschlange bildete gegen die sich der Stau, der sich zu Ferienbeginn zwischen Hamburg und München bildet, wie ein Mäuseschwänzchen ausnehmen würde. Eine Schlange aus geduldigen Menschen, die zwischen den Tischen mit wohlfeilen Sonderangeboten, Regalen gefüllt mit Zucker, Mehl und anderen Spezereien dahin mäanderte. Gelegentlich kam es zu leisen, halb erstickten Äußerungen von Schmerzenslauten wenn eine der resoluten Angestellten einem der Wartenden den Hubwagen mit einer Palette vollgepackt mit H-Milch halbfett sanft gegen das Schienenbein gleiten ließ. Irgendwo in der Mitte der Schlange konnte ich Mitglieder des Skatclubs „Bube trifft Dame“ ausmachen die unverdrossen ihre Spielkarten auf den Deckel der Gefriertruhe mit Tiefkühlgemüse droschen. Die Mitglieder des Shantychors Halbe Lunge hatten es da weniger gut. Nachdem sie drei Mal hintereinander ihr gesamtes Repertoire zum Besten gegeben hatten herrschte bei den Wartenden ein gewisser Unmut. Da schien es dann doch angebracht den absoluten Lieblingshit „Drei Mann auf des toten Mannes Kiste und `ne Buddel voll Rum“ nur noch durch dezentes Summen anzudeuten. Irgendwo weiter hinten sah ich einen Herrn mit stark hypertonisch gerötetem Gesicht, der ein kreischendes Kind am Kragen packte und es in der Tiefkühltruhe mit Pizza versenkte. Für einen Moment ließ der Schalldruck der zweibeinigen Sirene nach als er den Deckel zu schob. Allerdings war die Erleichterung nur von kurzer Dauer. Wenig später erhob sich die zeternde Stimme einer besorgten Mutter die verzweifelt nach Arne-Wilhelm rief. Für einen Moment war ich versucht meine Position in der Mitte der Warteschlange aufzugeben um mich zu denen zu gesellen, die den nun beginnenden Kampf im Freistilringen zwischen der wütenden Mutter und dem Hypertoniker beobachteten. Zwei fröhliche Junggesellen auf Durchreise eröffneten zwischen Teigwaren und Gefrierfisch ein Wettbüro. Ich bekam gerade noch mit dass die Wetten sechs zu zwei für die kämpfende Mutter standen als ich auf eine andere Kundin aufmerksam wurde.

Sie mochte so kurz vor siebzig sein. Hellgrau, kurze und leicht schüttere Haare die straff zurück gekämmt waren. Eng anliegende Kleidung die einen sportlich durchtrainierten Körper erahnen ließ. Ein entschlossener Blick durch die Gläser der randlosen Brille zeugte von Aufmerksamkeit. An ihren Füßen trug sie sportliche Turnschuhe mit dem Aufdruck einer bekannten Marke. Kurzum – es war davon auszugehen dass sie den größeren Teil des Tages mit Nordic Walking, Stretching, Aerobic, Gehen und Gewichtheben verbrachte. In ihrer Hand trug sie ein Paket Kaffee.

Nun sollte man meinen dass niemand auf dieser Welt mehr Zeit hat als eine Rentnerin im fortgeschrittenen Alter, die sich gerade im Urlaub befindet. Aber da hatte ich mich geirrt. Unverdrossen begann sie damit die Schlange der wartenden Kunden von hinten aufzumischen.

„Würden Sie mich vielleicht vorlassen? Ich habe nur das Päckchen Kaffee!“ begann sie ganz am Ende und rückte auf diese Weise vier Positionen vor. Vermutlich weil man sich am Ende der Schlange schon darauf eingerichtet hatte nicht vor Montag Morgen an die Kasse zu kommen. Anders kann ich mir nicht erklären dass in der hintersten Ecke des Ladens ein Notbiwak aus leeren Paletten errichtet wurde und einer der Kunden die letzte noch vorhandene Kreissäge aus dem Sonderangebot der Woche aus dem Karton genommen hatte und damit begann, Brennholz für ein Lagerfeuer zu schneiden. Jemand anders rief gerade seine Frau an und bat sie den Grill vorbei zu bringen.

Nachdem sie weitere zwei Positionen gut gemacht hatte stieß die hartnäckige Rentnerin langsam auf Widerstand. Eine wohl aus dem Ruhrgebiet stammende Kundin, figürlich nicht ohne gewisse Ähnlichkeit mit einem Sumo - Ringer, stoppte den Vorwärtsdrang der Rentnerin. Auf den Hinweis dass es doch nur um ein Pfündchen Kaffee ging antwortete sie mit Nachdruck: „Dat is mir völlisch ejal wat Se ham oder nich. Und wenn et nur um ein Jürkchen ginge, schließlich müssen wir alle jenau so lang warten. Watt meinen Se wie lang isch hier schon steh? Oder meinen se et macht mir etwa Spaß datt mir die Hühneraujen tränen?“

Die Rentnerin mit dem Kaffe zog die Augenbraue hoch. Es war deutlich zu sehen dass ihr diese grobe Unhöflichkeit gegen den Strich ging. Schließlich hatte sie doch nur ein Pfündchen Kaffee. Die resolute Dame aus dem Ruhrgebiet stellte ihren hoch bepackten Einkaufswagen quer und füllte den Rest der Gasse zwischen den Regalzeilen mit ihrer Masse. Bildete ein massives Bollwerk gegen jeden weiteren Versuch des Vordrängelns. Das Nächste was ich sah war die Rentnerin, die seitlich unter einem Regal abtauchte und mit geübten Bewegungen über den Fußboden robbte während das Fleisch gewordene Bollwerk gerade einen Moment abgelenkt wurde weil eine der Verkäuferinnen Durchlass begehrte um einen Karton mit obstfreier Zwetschgenmarmelade in ein Regal zu befördern. Während die Verkäuferin und die Dame aus dem Ruhrgebiet eine lautstarke Diskussion darüber entfachten wer die Verantwortung dafür zu tragen hatte dass der Boden von einer soliden Schicht Zwetschgenmarmelade überzogen war tauchte drei oder vier Positionen weiter vorne die Rentnerin samt Kaffee wieder unter dem Ladenregal auf.

„Würden Sie mich vielleicht vorlassen, ich habe nur ein Päckchen Kaffee!“ vernahm ich ihre Stimme. Erst jetzt entdeckte die rheinische Sumoringerin was geschehen war. Vor Wut stampfte sie mit dem Fuß auf und löste so ein lebhaftes Gespräch mit Ratschlägen und Tipps aus wie sich zwetschgenlose Zwetschgenmarmelade wohl am besten aus Kleidungsstücken entfernen ließe. Aber die Sumoringerin gab nicht auf. „Datt is ja sooooowatt von unverschämt wie sich dieses Frettchen vordrängelt. Lassen Se diese impertinente Person blooooosssss nit vor!“ kreischte sie nach vorne. „Datt is unmöööschlich, datt, watt die sich da rausnimmt.....“ Während sie gerade dabei war zu Hochform aufzulaufen ertönten die ersten Takte des Klavierstückes „Für Elise“. Wütend kramte sie ihr Handy aus der Tasche und begann ihrer Freundin zu erzählen dass der Ferienbeginn zwar von Kleinigkeiten getrübt war aber dass sie gerade dabei war sich außerordentlich gut zu erholen. Dann war sie damit beschäftigt die neuesten Ereignisse aus Oer-Erkenschwiek Süd zu kommentieren.

Die Rentnerin sondierte die Lage. Gerade schien ihr eine geniale Idee gekommen zu sein. Gerade so als ob es eine leichte Unachtsamkeit wäre ließ sie ihr Kaffeepaket zu Boden fallen um es dann geschickt mit der Innenseite des linken Fußes ein Stück weit in Richtung Kasse zu schlenzen. So mancher Bundesligaspieler hätte sich an dieser lang geübten, begnadeten Technik eine Scheibe abschneiden können. Leicht gebückt und mit den energischen Ellenbogenbewegungen eines durchtrainierten Rugbyspielers arbeitete sie sich weiter in Richtung Kasse vor. Bewundernd sah ich ihr zu wie sie es fertig brachte durch eine geschickte Flanke über den fahrbaren Korb mit den von letzter Woche übrig gebliebenen Wintersocken weiteren Boden gut zu machen während sie gleichzeitig dem nun vor ihr stehenden Herrn, der sich überhaupt nicht erklären konnte wo diese Person so überraschend hergekommen war, ihr Kaffeepäckchen dicht vor die Nase hielt und fragte: Würden Sie mich vielleicht....“

Der Gefragte nickte nur, das Risiko von einer Hartpackung gemahlenen Kaffees an der Nase blutig gestoßen zu werden erschien ihm wohl zu groß. Triumphierend machte sich die alte Dame mit dem Kaffee daran die nächsten Schritte vorzubereiten. Neugierde vortäuschend näherte sie sich einem der Warenkörbe die direkt im Kassenbereich standen und begann darin zu kramen. Aus den Augenwinkeln suchte sie ein passendes Opfer für den nächsten Schritt der sie dann sozusagen auf die Pole Position bringen sollte. Da allerdings geschah etwas Unvorhergesehenes. Ohne große Ankündigung machte sich eine der Verkäuferinnen daran eine zweite Kasse zu öffnen. „Sie können sich schon mal hier anstellen!“ flötete sie mit süßer Stimme den ehrfürchtig Wartenden zu. Die Rentnerin mit dem Kaffeepaket zuckte zusammen. Mit starkem Schwung wollte sie sich vom Regal abstoßen um in die Nähe der neu geöffneten Kasse zu gelangen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet dass die Menge der Wartenden sich auf einmal in Bewegung setzte, sich teilte wie das Meer zu Zeiten als Moses sich anschickte sein Volk trockenen Fußes durch das rote Meer zu geleiten. Die Menge der Menschen teilte sich, dann schloss sie sich wieder in wildem Durcheinander, ich konnte einen kurzen Aufschrei hören der kurz darauf verstummte. Irgendwann hörte ich draußen das Martinshorn eines Notarztwagens. Als ich knapp drei Stunden später leicht verschwitzt und nur geringfügig abgespannt auf den Parkplatz trat sah ich gerade noch wie die alte Dame auf einer Trage gesichert wurde. Das Schmerzmittel schien zu wirken denn ich hörte sie nur noch leise murmeln: „Aber ich habe nur ein Paket Kaffee....“

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