***mittendrin und zwischendurch***
Freitag, 27. Juli 2007
Vierzehner Stuhlwinkel
Am 27. Juli 2007
Ein Autounfall? Nein, Herr Doktor, die Rippenrüche habe ich im Baumarkt bekommen. Ja ehrlich. Wie das passiert ist? Also ich brauchte zwei vierzehner Stuhlwinkel um ein Regal zu reparieren. Da bin ich in den Baumarkt gefahren. Ist Ihnen schon mal aufgefallen dass Baumärkte jetzt alle Bistros und Cafés haben? Und das ist nur der Anfang, es kann nicht mehr lange dauern bis der erste Baumarkt eröffnet wird in dem Sie übernachten können – ein völlig neue Marketingkonzept.

Merken Sie nicht auch dass die Waren im Baumarkt ständig hin und her geräumt werden? Da wo gestern noch die Schrauben und Nägel waren finden sie heute Klebeband und Farben. Die Gartenabteilung ist plötzlich da wo früher Elektrogeräte waren. Und es ist auch kein Zufall dass in Baumärkten jetzt auch Lebensmittel und Zelte angeboten werden. Anstelle von Verkäufern sind in Baumärkten jetzt Spezialteams am Werk die nichts anderes machen als die Waren ständig an neue Plätze zu bringen, damit der Kunde länger bleibt und zwischendrin ins Bistro geht. Und demnächst wird es richtige Baumarkt-Safaris mit Übernachtung im Zelt und Grillen am abendlichen Lagerfeuer geben, da bin ich sicher.

Ich wollte also Stuhlwinkel. Aber in dem Regal wo sie bisher waren sind jetzt Sämereien. Ich in ein paar Mal durch die Gänge gelaufen, habe alles Mögliche gefunden aber nicht die Stuhlwinkel. Und da waren diese beiden Maurer, die scheinbar auch schon stundenlang am Suchen waren. Die waren ziemlich wütend, das konnte ich sehen.

Dann bin ich vor zur Information. Die mussten doch wissen wo die Stuhlwinkel abgeblieben waren. Ich trug meine Frage höflich vor aber der wissensbefreite Blondbomber hinter dem Tresen blickte völlig veträumt durch mich hindurch als ob ich ein transzendentales Wesen sei. „Stuhlwinkel?“ hauchte sie, „ich bin vorne im Bistro, ich wollte hier nur was abgeben!“

Aus dem Augenwinkel heraus entdeckte ich einen Verkäufer, der versuchte hinter einem Karton mit Fussmatten Deckung zu suchen. Nicht mit mir. Der Zufall kam mir zur Hilfe, ich konnte einen Pflanzenroller schnappen und mit Schwung schaffte ich es den flüchtigen Verkäufer einzuholen. Dabei blieben zwei Kartons mit griechischem Wein auf der Strecke.

„Bitte,“ sagte ich, „können Sie mir sagen wo die Stuhlwinkel hingekommen sind?“

„Tut mir leid,“ war die Antwort und er grinste mich an, „keine Ahnung, ich bin für Kleinelektro zuständig. Warten Sie hier, ich schicke Ihnen einen Kollegen!“

Während ich zwanzig Minuten auf einem Stapel mit Holzleisten sass um wieder zu Atem zu kommen passierten die beiden Maurer zweimal den Gang. Ihre Laune schien sich nicht gebessert zu haben. Gerade als sie um die Regalecke verschwunden waren kam tatsächlich ein Mitarbeiter auf mich zu. „Sie brauchen Hilfe?“ fragte er mich.

„Ja, ich möchte wissen wo die Stuhlwinkel hingekommen sind!“
„“Ach Du meine Güte, da kann ich ihnen auch nicht weiter helfen.“

„Aber Ihr Kollege hat doch extra gesagt er schickt jemanden!“
„Hat er mich ja auch. Aber ich habe verstanden hier im Winkel steht ein Stuhl und da wollte ich mal nachschauen. Für Kleineisen ist jetzt der Kollege Schröder zuständig, aber ich weiss nicht ob der da ist!“

„Und wie bekomme ich raus ob er da ist?“
„Fragen Sie an der Information nach.“
Also zurück auf Start, an der Information sass jetzt eine ältere Dame die gerade am telefonieren war. Nach knapp zwanzig Minuten beendete sie das Gespräch und runzelte die Stirne weil ich es gewagt hatte eine etwas ungeduldige Handbewegung zu machen. Immerhin rief sie bereitwillig den Kollegen Schröder aus, der nach weiteren zwanzig Minuten tatsächlich auch kam. Fröhlich lächelnd kam er auf mich zu.
„Stuhlwinkel, da haben Sie aber Pech. Seit zwei Stunden bin ich für das Tapetensortiment zuständig, keine Ahnung wo die Stuhlwinkel jetzt sind. Aber schauen Sie doch mal dort ganz hinten hinter dem Regal mit Baumaterial. Ich hab was Läuten gehört dass Kleineisen jetzt da hinten sind!“

Während ich mich auf den langen Weg in die andere Ecke des Baumarktes machte fielen mir wieder die beiden Maurer aus. Jetzt waren sie wirklich wütend. Der Eine kickte eine aus dem Regal gefallen Farbdose wütend vor sich her, bis sie scheppernd unter einem Regal verschwand. Der Andere hieb ein paar Mal mit der Faust auf einen Stapel mit Fliesen dass die Kanten abbröselten.

Langsam verlor auch ich die Ruhe. Immerhin war ich jetzt über drei Stunden hier unterwegs um ein paar Stuhlwinkel zu finden. Gleichzeitig packten mich Jagdfieber und Ehrgeiz. Als ich um die Regalecke bog wo jetzt die Sanitärartikel liegen überraschte ich einen anderen Mitarbeiter des Baumarktes. Er hatte wohl nicht damit gerechnet ausgerechnet hier von einem Kunden gestellt zu werden. Der Fluchtweg war ihm abgeschnitten – hinter ihm stand eine Palette mit Waschbecken, rechts und links ragten die Stahlregale in die Höhe.

Als ich mich schon am Ziel wähnte stieg er plötzlich eine dieser hohen fahrbaren Leitern hinauf. Na – Höhenangst habe ich keine, also wollte ich hinterher klettern.

„He, Sie da!“ rief er von oben. „Gehen Sie SOFORT von der Leiter runter, die ist nur für eine Person zugelassen!“ Gehorsam stieg ich wieder von der Leiter und rief hinauf: „Wissen Sie wo jetzt die Stuhlwinkel sind?“
„Wie bitte – ich kann Sie absolut nicht verstehen!“ war seine Antwort. Jeder weitere Versuch der Kontaktaufnahme scheiterte. Er hockte da oben auf der Leiter und liess sich durch nichts stören.
Einen kurzen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken ihn herunter zu schütteln. So wie einen Apfel vom Baum. Aber was würde mir so ein aufgeplatzter Verkäufer schon nutzen? Ich entschied mich für eine andere Technik, die schon im Mittelalter erfolgreich angewendet wurde: das Aushungern.

Irgendwann MUSSTE er von dort oben herunter kommen. Auch ich hatte inwischen Appetit. Ein ganz natürlicher Vorgang auf den die Geschäftsleitung spekuliert. Aber der Weg nach vorne zum Bistro bedeutete, dass meine Beute von der Leiter flüchten würde, das war mir klar.

Nicht mit mir. Ein kurzer Anruf mit dem Handy genügte und zwanzig Minuten später war meine Frau da mit ein paar belegten Broten und der Zeitung. Während ich es mir unten auf einem Packen Styropor bequem machte wurde ich von oben aufmerksam beobachtet. Auch die Maurer kamen wieder drei oder vier Mal an mir vorbei, ihre Laune war noch schlechter geworden.

Meine Rechnung schien aufzugehen, knapp zwei Stunden später kletterte mein Opfer langsam die Leiter herunter. Ich hatte gerade den letzten Bissen meines Brötchens geschluckt als er mich höhnisch anlachte und sagte: „Tut mir leid, ich habe jetzt Mittagspause!“

Und schon zog er seinen Arbeitskittel aus und warf ihn achtlos über einen Stapel mit Farbeimern. Jeder weitere Versuch ihn zu einer Auskunft zu bewegen war zwecklos, aber ich hörte wie er vor sich hin lachte als er zwischen den Gängen in Richtung Kantine verschwand.

Und dann machte ich den entscheidenden Denkfehler. Ich kam auf die Idee den Feind mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Es musste doch möglich sein, mich als Mitarbeiter auszugeben und unter Kollegen mal nachzufragen, an welchem Ort die Stuhlwinkel heute versteckt waren. Ruck zuck hatte ich den Kittel übergestreift und wollte meinem Opfer auf den Weg in Richtung Kantine folgen.

Das letzte an das ich mich erinnere waren die beiden Maurer. Einer sprang von einem Regal auf mich herunter während der andere mir mit einer Dachlatte die Füsse wegschlug. Dann sassen sie beide auf mir drauf, das Letzte an das mich erinnere war der Satz: „Wo zum Teufel habt Ihr die Richtschnur heute versteckt....“

Und zu mir gekommen bin ich erst wieder hier in der Klinik, Herr Doktor........

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